Michael Gerling

06. Okt 2022 | Retail Partner Magazin: Ausgabe 02

Gelebte Partnerschaft par excellence: Als Geschäftsführer des EHI Retail Institute und des MLF weiß Michael Gerling um die besondere Bedeutung von partnerschaftlicher Zusammenarbeit im Handel. Im Gespräch mit Retail.me erläutert er die Auswirkungen der derzeitigen geopolitischen Situation auf die Partnerschaft zwischen Industrie und Handel und gibt Handlungsempfehlungen, um die aktuellen Herausforderungen gemeinsam zu meistern.

Der Name unseres Magazins ist „Retail Partner Magazin“. Was bedeutet Partnerschaft im Handel für Sie?

Partnerschaft funktioniert nur, wenn die Partner auf Dauer davon überzeugt sind, dass zusammen besser ist als allein. Und es braucht Transparenz und Vertrauen. Die Genossenschaften im deutschen Lebensmittelhandel sind sehr gute Beispiele für äußerst erfolgreiche Partnerschaften. Die selbstständigen Kaufleute wissen, dass sie in vielen Bereichen durch die zentralisierte Zusammenarbeit stark profitieren, ich möchte sogar sagen, dass sie ohne diese Partnerschaft nicht existieren könnten. Ohne gemeinsames Agieren im Einkauf, im Marketing, in der Logistik, bei vielen technologischen Themen und in anderen Bereichen wären sie nicht wettbewerbsfähig. Gleichzeitig muss es genug Raum geben, die individuellen Stärken zu nutzen. Innovation braucht schnelle Entscheidungswege und den Mut zu Versuch und Irrtum. Da bringt Dezentralität große Vorteile.

Welche Auswirkungen hat die derzeitige geopolitische Lage auf den deutschen LEH?

Energiekosten und Rohstoffknappheit treiben aktuell die Preise. Allein die Steigerung der Energiekosten belastet den Lebensmitteleinzelhandel in den Märkten mit zusätzlichen Kosten von mehr als einem Prozent des Umsatzes. Hinzu kommen steigende Indexmieten und stark steigende Löhne und Gehälter. Und das bei deutlich sinkenden Umsätzen und geringeren Margen.

“Wenn Digitalisierung richtig eingesetzt wird, erhöht sich die Flexibilität und die Kosten sinken. Genau das ist zur Zeit gefragt.”

Michael Gerling

Wie wirkt sich die aktuelle Situation auf die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Handel aus?

Der Preiswettbewerb war vielleicht niemals so dramatisch wie heute. Steigende Einkaufspreise im gesamten Sortiment können nicht in gleichem Umfang an die Kunden weitergegeben werden. Da versteht sich, dass auch die Verhandlungen zwischen Handel und Industrie aktuell so schwierig sind. Der Handel kann viele Preiserhöhungen der Industrie nicht nachvollziehen und daher nicht akzeptieren. Die Industrie sieht den Handel als Blockierer notwendiger Preiserhöhungen und verweigert daher zum Teil die Belieferung. Am Ende wird der Markt entscheiden, ob Preiserhöhungen angemessen sind. Aktuell sind auf jeden Fall die preiswerten Alternativen im Sortiment stärker gefragt als die hochpreisigen. Manche Partnerschaften werden davon profitieren, andere nicht.

Welche Handlungsempfehlungen geben Sie jungen Unternehmern in der derzeitigen Situation mit auf den Weg?

Nachhaltigkeit, Gesundheit und Lifestyle waren in der jüngsten Vergangenheit im LEH sehr erfolgreiche Themen. Viele junge Unternehmen konnten sich gut im Markt platzieren. Jetzt werden die Haushalte aber mit enormen Preis- und Kostensteigerungen konfrontiert und es herrscht große Unsicherheit zur weiteren Entwicklung. Da ändern sich die Konsumprioritäten schnell. Die Umsätze im LEH sind aktuell im Vergleich zu 2021 bis zu zweistellig gesunken und das bei stark steigenden Preisen. Ich denke, eine vorsichtige Planung ist ganz besonders wichtig. Hohe Fixkosten sind immer gefährlich, aktuell aber mehr denn je. Sicher eine gute Zeit für neue Partnerschaften.

Wie kann die Digitalisierung bei den aktuellen Herausforderungen unterstützen?

Digitalisierung ist ohne Zweifel ein Schlüsselthema im gesamten Handel. Wenn Digitalisierung richtig eingesetzt wird, erhöht sich die Flexibilität und die Kosten sinken. Genau das ist zur Zeit gefragt. Die Branche muss sich immer mehr darauf einstellen, dass viele Stellen nicht mehr adäquat besetzt werden können. Hier kann Technologie wertvolle Beiträge leisten. Bestellen, Kommissionieren, Registrieren oder Bezahlen, vielleicht auch Reinigen oder Einräumen; die Arbeit der Menschen kann hier technologisch unterstützt und zum Teil auch ersetzt werden. Und auch in der Kommunikation wird immer mehr die Frage gestellt, ob gedruckte Kataloge und Handzettel zu ergänzen oder zu ersetzen sind. Nicht zuletzt gewinnt der Handel durch Digitalisierung viele Daten, die ihn bei der Steuerung des Geschäftes unterstützen werden.

Wo sehen Sie die konkreten Vorteile von digitalen Lösungen wie Retail.me?

Der Kontakt zwischen Konsumgüterherstellern und den Märkten des Einzelhandels ist eine komplexe Angelegenheit. Für beide Seiten enorm wichtig, aber auch sehr aufwändig. Retail.me hat das sehr früh erkannt und ein enormes Netzwerk an Partnern aufgebaut. Auch hier dürften die Partner davon überzeugt sein, dass Partnerschaft große Vorteile bringt. Gute Voraussetzungen also für eine weiterhin erfolgreiche Zukunft.